Alltag

Montag, 4. Januar 2016

Aufgewacht

Zahnzusatzversicherung, ein Job bezahlt nach Tarif, Zeitzuschläge, guter Lohn. Am Ende vom Monat etwas Geld zum Zurücklegen, neue Schuhe. Das Nachbarpärchen lädt dich zum Umtrunk ins neue Jahr ein, Möbelkatalogwohnung, Gästezimmer mit Bett. Katze über die Feiertage bei den Eltern untergebracht, einfache Witze reichen aus, um sie zum Lachen zu bringen, Biergläser, Untersetzer, frisch angezündete Kerzen auf dem Tisch. Frohes neues Jahr, Höhepunkte des letzten Jahres sollen die Tiefpunkte des kommenden Jahres sein, Gesundheit, Erfolg im Job, Glück.

Erinnerst du dich an das hübsche, kleine Hotelzimmer, mit diesem kleinen Bett. Was ein wundervoller Tag, welch schöner Spätsommer. Nichts Besonderes, auch kein sonderlich prächtiger Ausblick aus dem Fenster, die Einrichtung war schlicht. Es war aber schön, abends, nachdem wir uns den Tag über die Füße müde gelaufen waren, dort anzukommen. Noch eine Flasche Bier auf dem Bett, eine Zigarette am Fenster bei gelöschtem Licht, spätabendlicher Wind füllt den Vorhang, du umgreifst meinen Oberkörper, küsst meinen Rücken, legst deinen Kopf auf meine Schulter und lauschst. Lebhafte Gespräche aus den Kneipen, Hundegebell, ein Obdachloser bittet um Kleingeld, Straßenbahnen, in der Ferne Blaulicht. Die Stadt lebt. Lass dich treiben, durch die Straßen, durch Nächte. Hier ist noch auf, ich kauf uns noch zwei Flaschen. Wo sind wir eigentlich? Ganz egal. Nimm meine Hand, welch schöne Nacht, lass uns tanzen, wir haben Zeit. Die ersten Blätter wirbeln herum. In dein Haar, im Gaslaternenlicht. Wie der Wind, der den Vorhang füllt. Lass das Fenster noch etwas geöffnet, es ist noch so warm. Wir liegen auf dem Bett, neben mir, neben dir.

Du bist nicht mehr da. Nein, es hat so etwas nie gegeben.


Sonntag, 29. August 2010

Sonntag

Kaum ein Tag vergeht, ohne die schwere Last des Alltags im Rücken, im Magen, im Kopf, in den Beinen, zwischen Hirn und Auge, im Herzen oder in den Händen spüren zu müssen. Mittlerweile bin ich soweit zu sagen, dass alles nicht mehr keinen Sinn macht, sondern keinen Sinn mehr in sich trägt. Ich sehe Tag für Tag dieselben Leute, ich gehe Abend für Abend dieselbe Strecke nach Hause, ich verbringe meine Zeit an denselben Orten, und all die Aufgaben, die an mir lasten, die mir gestellt werden, die ich zu erfüllen habe, lenken mich lediglich von diesem Alltagstrott ab. Mittwoch. Donnerstag. Freitag. Samstag. Ein bisschen warten. Und ja, Sonntag. Sonntag hatte ich das Gefühl, etwas krank zu werden.


Mittwoch, 9. Dezember 2009

Ronnie

Vor ein paar Tagen hatte ich mich mit ein paar Leuten in der Stadt getroffen, um auf meinen neuen Job anzustoßen. Neben den Personen meiner Wahl hatte sich auch so ein Typ eingeschlichen, den ich gar nicht erst angefragt hatte. Er hieß Ronnie. Böse Zungen nannten ihn auch Schönwetter-Ronnie, doch waren diese bösen Zungen rar gesät. Leider, denn er war ein Heuchler, der sich bei vielen durch die Hintertür einschleimte, und immer wurmte es mich, wenn irgendwer mit ihm da saß und nicht bemerkte, was für ein Hund er doch war. Er war ein fieser Kerl, und einige erkannten das sogar. Manche waren zu feige, ihm das mal zu sagen oder ihn so zu behandeln, wie er es verdient hatte. Viele andere bekehrte er mit seiner schleimenden und blöden Art, und viele fielen auf ihn rein. Es brachte ihm letztendlich nichts, und den anderen auch nicht. Er war ein Meister darin, die schützende und bemitleidende Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Würde man ihm ans rechte Schienbein stoßen, fing er an zu jammern und nur wenigen würde auffallen, dass er sich nach einiger Zeit vor lauter Schauspielerei das linke Bein reiben würde. Wahrscheinlich war er auch nur ein ganz armes Würstchen; wahrscheinlich war es nur ein Haufen armer Würstchen, er, und die, die mit ihm parat kamen, die sich untereinander alle nur belogen und beschleimten, ohne zu bemerken, dass sie sich gegenseitig bescheißten.
Naja, Ronnie. Ich hatte irgendwann mal einen meiner Notizblöcke in so einem Laden liegen lassen und Ronnie hatte sich ihn geschnappt, darin rumgelesen, und Sachen erzählt, die niemanden etwas angingen. Es hatte mich auf die Palme gebracht. Dieser Arsch.
„Ronnie“, schnauzte ich ihn an, „was zum Arsch willst du hier? Hab ich dich gebeten, heute herzukommen? Und wahrscheinlich willst du auch noch auf meine Karte saufen!“
Ich stand auf, ging zu ihm rüber ans andere Ende vom Tisch. Ich packte ihn beim Kragen, zog ihn hoch.
„Ey Mann, ist doch alles easy“, lächelte, beziehungsweise näselte er mich an.
„Verpiss dich du Hund. Dass ich dich heut’ bloß nicht mehr sehe, sonst schlag ich dir auf deine Fresse!“
Der Abend war gelaufen. Und ich glaube, ich hatte es mir auch mit den anderen Leuten versaut. Ronnies Leuten. Ein gelungener Abend.


Samstag, 10. Oktober 2009

Zu spät

Ich telefonierte mit Frank.
„Und, läuft gut, der neue Job?“, fragte er mich.
„Naja, weißt du, ich bin morgens ziemlich fertig. Ich komm mit dem Schlafrhythmus nicht klar. Aber der Job ist in Ordnung. Er lenkt mich was ab, weißt du.“
„Ja, wird dir nicht schaden. Freut mich, dass es dir was besser geht.“
„Geht bergauf, obwohl’s mich dann und wann alles wieder fertig macht.“
„Klingt lächerlich“, Frank zögerte kurz „aber meine Nummer hast du ja. Kannst du drauf zählen.“
„Hab ich schon oft gehört, sowas. Aber ich nehm’s dir mal ab“, schmunzelte ich.
„Will ich dir geraten haben“, scherzte Frank zurück.
„Alles klar. Gut, dann bleibt’s bei Samstag 19 Uhr?“
„Ja, ich rufe durch, falls sich was ändert.“
„Gut, bis Samstag.“
„Ok, bis Samstag. Ciao.“
„Ciao.“
Ich legte auf. 23 Uhr. Eigentlich eine dumme Idee, so früh schon schlafen zu gehen. Aber um meinen Schlafrhythmus etwas zu korrigieren, blieb mir nichts anderes übrig.
Ich legte mich also ins Bett, lag aber noch lange rum. Irgendwas wollte mich nicht müde werden lassen. Es mussten herumschwirrende Gedanken gewesen sein. Aber warum mussten sich die Biester gerade meinen hässlichen Kopf aussuchen? Konnten sie nicht einfach abziehen und mich schlafen lassen? Ich fühlte mich unschuldig.
In meinem Kopf ging es nun rund, in meinem Zimmer war alles recht still. Den Tag über war auch nichts passiert. Diese wirren Gedanken und die unheimliche Stille wirkten auf mich befremdend. Ich brauchte jetzt erst einmal etwas real Wirkendes. Ich kippte das Fenster. Alle sieben oder acht Sekunden bretterte ein Auto vorbei. Es war laut. So kannte ich das, so war ich es gewohnt. Selbst um diese Uhrzeit. Jetzt wirkte es hier oben wieder einigermaßen real. Kurze Zeit später hörte ich eine laute, männliche Stimme von draußen. Ich konnte keine Worte verstehen, nur irgendwelche lauten Laute. Vielleicht waren es auch gar keine Worte, sondern nur eine Folge unvollständiger Gedankengänge. Oder ich verstand einfach nicht, was er zu sagen hatte. Naja, hatte wohl ein Verständigungsproblem, dieser Kerl da unten. Dazu kam noch ein bellender Hund. Bellte ununterbrochen. Vielleicht sprach oder bellte der Typ mit dem Hund. Wahrscheinlich fühlte er sich unbeobachtet und ließ seinen Instinkten freien Lauf. Kurz drauf hörte ich ein schreiendes Kind. Um diese Uhrzeit. Zwischendurch immer die lauten Laute von dem Typ. Und dieser bellende Hund. Doch klang er auch sehr seltsam. Er bellte nicht, er fauchte. Leicht angeschlagen. Es klang wie ein alter Mensch, der würgen musste, oder noch besser, wie die alte Oma, die stundenlang am Fenster saß und nur darauf wartete, bis der kleine Florian seinen Ball in ihr Beet schoss, damit sie ihn anfauchen konnte. Warum tat sie das überhaupt? Was für ein Chaos da unten auf der Straße. Ich stand ruckartig auf und schloss das Fenster. Danach legte ich mich wieder Bett. Diese kranken Gedanken.


Donnerstag, 24. September 2009

Am Gleis

Ich war mit dem Zug unterwegs. Es war am regnen und unangenehm kühl. Die Fußheizung im Zug war eingeschaltet. Ich hatte es zu spät gemerkt. Der Inhalt einer offenen Tube Salbe, die sich in meiner Tasche auf dem Boden befand, hatte sich verflüssig und einige Notizzettel versaut. Rechts von mir, auf der anderen Seite des Gangs, saßen zwei ältere Herren. Einer von den beiden war eingeschlafen. Beim nächsten Halt weckte der eine den anderen Alten auf. Sie packten ihr Zeug und stiegen aus. Ich blieb sitzen, hatte noch eine Strecke vor mir. Inzwischen war es auch noch dunkel geworden und der Regen klatschte an die Scheibe.
Nach zehn Minuten stand der Zug immer noch und die Innenbeleuchtung war ausgegangen. Nach weiteren fünf Minuten kam so ein Typ.
„Hey, was sitzen Sie hier noch drin rum?“, fragte er mich.
„Mister, warum fährt das Ding nicht endlich weiter?“, fragte ich.
„Der Zug fährt heute nirgendwo mehr hin.“
„Was soll der Scheiß? Ich habe für die Fahrt bezahlt.“
„Sie hätten umsteigen müssen. Der nächste Zug fährt erst wieder in 2 ½ Stunden.“
„Und was soll ich jetzt in der Zeit tun?“
„Erstmal aussteigen, ich muss dicht machen.“
Nun ja. Ich stieg aus. Es war ein kleiner Bahnhof, irgendwo im Wald. So schien es. Überall nur große Bäume drum herum. Es war jetzt schon kurz nach 22 Uhr. Und es regnete immer noch. Am Ende vom Gleis, neben dem Fahrkartenschalter, der schon geschlossen hatte, befand sich noch eine kleine Gaststätte. Sie hatte noch bis Mitternacht geöffnet. Ich ging rein.
„Alter, noch einen Schritt weiter, und du bist sofort wieder draußen“, brüllte mich der Typ hinter der Theke an. Es war ein ziemlich dünner Kerl. Alt und dünn. Hinten an der Theke saß noch wer. Sah ziemlich fertig aus.
„Ich hab vorhin alles sauber gemacht. Sie treten jetzt mal schön Ihre Füße ab, und dann hängen Sie ihren dreckigen Mantel da an den Ständer“.
„Ist ok“, sagte ich, „wenn ich dann noch was zu trinken bekomme“.
„Was wollen Sie?“
„Gib mir’n gezapftes Bier und ‘ne Packung Erdnüsse“.
Ich setze mich zu ihm an die Theke. Er stellte mir ein Bier hin. Ich trank es aus. Kurze Zeit später kam so ein Typ rein. Schien ein Stammgast zu sein, denn er wurde nicht angeschnauzt. Er setzte sich neben mich.
„N’Abend“, sagte er.
„N’Abend“, sagte ich.
Er bestellte sich ein Bier.
„Was’n Wetter“, sagte er.
Ich sagte nichts.
„Haben Sie Feuer?“, fragte er mich.
„Nein, rauche nicht mehr“.
Darauf steckte er sich eine Zigarette in den Mund, nahm ein Feuerzeug aus seiner Tasche und zündete sie sich an.
„Und sehen Sie, genau deswegen habe ich immer Feuer bei mir“.
Ich schwieg und bestellte mir anschließend noch ein Bier.
„Chef, mir auch noch eins. Und bitte das von dem Herren hier auch auf meine Rechnung“.
„Das muss echt nicht sein.“
„Doch, doch, ist schon in Ordnung.“
Ich sagte nichts.
Danach holte er eine Zeitung aus der Tasche, schlug sie auf und begann zu lesen. Fing er mit einem neuen Artikel an, laß er die Überschrift immer laut vor und schaute mich danach mit einem grinsend fragenden Blick an. Er senkte dabei immer etwas die Zeitung und schaute so, als würde er über Brillengläser schauen. Nur trug dieses dumme Gesicht keine Brille. Das tat er mehrmals in den nächsten Minuten.
„Na, was haben wir denn hier. Finanzkrise. Pessimismus der Menschen nimmt weiter zu“.
Wieder dieser Blick. Ich wurde nervös. Ich hielt mich am Riemen. Die nächsten drei Minuten passierte nichts.
„Was haben wir denn hier? Banken sehen düstere…“
„Mensch jetzt halten Sie doch endlich Ihr Maul“, pumpte ich ihn an.
Nun ja. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Chef musste ich den Laden verlassen. Ich ging zur Tür, nahm meine Jacke vom Ständer und begab mich in den Regen. Ganze zwei Stunden musste ich nun noch warten. Ich setzte mich auf eine Bank an den Gleisen und zog mir meine Kapuze über.


Montag, 10. August 2009

Flucht

Ich lag auf der Couch. Ursprünglich war ich verabredet gewesen. Mein Telefon hatte aber nicht geklingelt und meine Hoffnungen, dass es noch klingeln würde, waren auch schon davon gezogen. Die letzten Tage waren schlimm gewesen. Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Wenn ich morgens aufwachte, fühlte ich mich beschissen, weil mir nichts anderes übrig blieb, als wach zu sein. Heute war ich schon gegen 7 Uhr aufgewacht. Mir war übel gewesen und ich hatte mich sogar etwas übergeben müssen. Natürlich war nur bitterer Mageninhalt heraus gekommen und jetzt schmerzte mir der Hals. Ich ging kurz runter zum Supermarkt, schaltete vorher den Anrufbeantworter ein. Ich kaufte sechs Flaschen Bier, Spaghetti, Salz und Kaugummi. Kurz drauf kam ich wieder heim. „Wenn da ‘ne Nachricht da ist, fress‘ ich meine Socken“, sagte ich so vor mich hin. Ich schaute nach. Keine Nachricht. Hatte also doch was Gutes, wenn man vergessen wird. Also ich lag weiter auf meiner Couch rum. Draußen hämmerte ein Presslufthammer, von unten kam Musik, über mir an der Decke zwei kaputte Glühbirnen. Auf dem Tisch Geschirr und alte Zeitungen. Ich hatte keinen Pepp mehr.

Dann klingelte auf einmal das Telefon. Ich war doch nicht vergessen worden und musste mich nun entweder beeilen oder tot stellen. Zweites wäre sicherlich einfacher gewesen, hatte mich den Tag über eh schon nicht ganz fit gefühlt. Ich zog mir meine Hose an und ging zügig ins Bad, wollte mich zurechtmachen. Aber sowas hatte ich schon lange nicht mehr getan, und ich war in solchen Dingen immer miserabel gewesen. Ich klappte den Spiegel auf. Kämmen, Zähne putzen. Hektik. Zu guter letzt fiel mir mein Rasierwasser ins Becken. Ich ließ es erstmal liegen; hatte auch noch nichts gegessen. Ich musste fürchterlich aus dem Mund gestunken haben. Ich trank schnell eines der Biere, welche ich gekauft hatte und schob mir danach einen Kaugummi rein, schlug also zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich fühlte mich gar nicht mehr so übel.

Das Wetter war ganz passabel gewesen. Also verzichtete ich auf ein Taxi und ging zu Fuß in die Stadt. An einem Schaufenster machte ich kurz Halt und warf einen Blick von oben nach unten auf mein Spiegelbild. Gut, ich hatte mich nicht rasieren können. Ansonsten war ich recht zufrieden. Ich grinste mich an und ging weiter.

Nach wenigen Minuten war ich angekommen. Wir hatten uns in einer alten Eckkneipe verabredet, wo wir und besonders ich schon zahlreiche gute Abende erlebt hatten. Sie war noch nicht da. Lou, ein guter Freund von mir saß rechts am Tresen und winkte mich herüber. Ich lehnte mich mit meinem rechten Ellbogen locker gegen die Theke. Hank, der Kerl hinter der Theke kannte mich ganz genau. Er wusste was ich bekam und stellte mir ein Glas hin. Lou erzählte mir von einer Reise, die er mit seiner Frau antreten würde. Ich meine, die Harmonie zwischen den beiden war schon längst verflogen, aber Lou machte so einen glücklichen Eindruck, als hätte er Melinda erst vor wenigen Tagen kennen gelernt. Er sah so gut aus und es tat gut, ihn so zu sehen. Er hatte schon schlechtere Zeiten erlebt. Vor einigen Jahren hatte sich sein Sohn aus einer früheren Beziehung mit seinem Wagen an einen Baum gefahren. Das hatte ihn damals völlig aus der Bahn geworfen. Er lächelte mich an. Ich klopfte ihm auf die Schulter und stieß mit ihm an.
Hank stellte mir ein neues Glas hin. Ich nahm einen Schluck. Der gute Hank. In all den Jahren war ich immer großzügig gewesen und ab und an revanchierte er sich mit einem Drink bei mir. Manchmal, wenn er den Laden abends schon dicht gemacht hatte, saß ich noch bei ihm am Tresen und wir unterhielten uns über alte Zeiten, tranken etwas und hörten Platten aus seiner Sammlung.
Jetzt hörte ich aber erstmal das Quietschen der Tür. Ich drehte mich um, schaute, und sah, dass sie reinkam. Arm in Arm mit irgend so einem Typen, den ich nur vom Sehen her kannte. Mit einem Ruck rutschte mir alles in die Hose. Mein Hals war wie zugeschnürt. Mir war übel. Ich drehte mich um, holte tief Luft und goss mein Glas in einem Schluck runter. Ich weiß nicht, ob man mir irgendwas ansehen konnte. Jedenfalls guckte mich Hank erschrocken an. Ich musste beschissen ausgesehen haben. Ihre Schritte kamen Richtung Bar. Ohne nur eine Sekunde nachzudenken, klopfte ich Lou nochmal kurz auf die Schulter und wollte abhauen. An ihr schon vorbei, griff ihr Typ auf einmal nach mir. „Hey, was soll der Scheiß?“, fragte er. Ich riss mich los und wuchtete ihm mit meiner Rechten in einem Dreh eins in die Magengegend. Er krampfte zusammen, sie schrie auf. Ich lief hinaus. Auf der Straße rannte ich fast gegen einen alten Mann, konnte ihm aber so gerade noch ausweichen. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich lief nach Hause und trank die restlichen Flaschen Bier. Es klingelte mehrmals an der Tür. Ich blieb auf meiner Couch unruhig sitzen und öffnete nicht. Irgendwann ging ich ins Bad. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich fing an zu heulen. Bisher war ich immer wieder davon runter gekommen. Doch dieses Mal hatte ich Schiss, dass es mich fertig machen würde.


Samstag, 8. August 2009

Luzy

Pünktlich gegen 18 Uhr waren wir verabredet. Doch kam wenige Minuten vorher die Nachricht, dass sie erst später eintreffen würde. Ich befand mich schon auf dem Weg und beschloss die Zeit zu nutzen, um noch eine warme Mahlzeit in einem Imbiss einzunehmen. Nicht nur, dass ich eigentlich garkeinen Hunger hatte, erwartete ich mir von dem Treffen nicht viel. Nachdem ich mir eine Portion Pommes-Frittes mit mehr Mühe als Lust den Rachen runter geschoben hatte, machte ich mich auf den Weg ins Café. Es war papp nass auf den Straßen; die Fransen meiner Hose schliffen durch das dreckige Wasser. Ich hatte mir zu viel Curry auf mein Essen getan, so dass ich den Geschmack erstmal mit einem Bier herunter spülte. Während ich weiter wartete, traf ich noch Dan, einen Kameraden aus guten, alten Tagen. Er bestellte uns zwei Drinks und erzählte mir, dass er einen heißen Tipp für das nächste Rennen hätte. Ich schlug ab; ich hatte schon lang nicht mehr gewettet. Der Drink bekam mir gut. Als ich weitere zehn Minuten gewartet hatte - Dan war schon wieder gegangen, beschloss ich, mir ein weiteres Bier zu besorgen. Doch als ich zur Theke ging, kam Luzy die Treppe ins Café herunter. Ich bestellte zwei Drinks. Sie umarmte mich herzlich, doch spürte ich neben ihrem nassen Mantel und ihrer warmen Wange nur meinen kratzenden Herzschlag. Ich wusste, dass wir später am Abend auseinander gehen würden und sie meinen Blumenstrauß, den ich ihr mitgebracht hatte, auf den Küchentisch stellen würde; ihn aber schon bald nicht mehr beachten und ihn an einem der Tage, wo sie keine Zeit hatte, verwelken lassen würde. Ich wollte schon wieder weg. Ich hätte mit Dan weggehen sollen. Sie goss ihren Drink in einem Tempo herunter, welches ich von Frauen Jenseits der 25 Jahre nicht kannte. Ich hielt mit und bestellte noch zwei Drinks. Sie erzählte mir, dass sie schon lange nicht mehr in der Stadt war. Allgemein redete sie nur belangloses Zeug. Mich interessierte es nicht. Ich lenkte mich ab. Das Leben war an diesem Abend nicht für mich zu Recht geschneidert und ich fand auch keine Möglichkeit, irgendwie hineinzuschlüpfen. Ich ließ nur noch laufen. Mir bekam es nicht mehr gut. Ich beschloss, sie anzulügen, um nach Hause zu kommen. Ich sagte ihr, ich hätte noch einen Freund zu pflegen, der vor wenigen Wochen beim Lauf durch den Wald von einem wilden Hund angefallen und gebissen worden wäre. Seitdem sei er auf Pillen, dürfte das Bett nicht verlassen und könnte sich keinen Krankendienst leisten. Ihr Blick sagte mir, dass sie es nicht glaubte, doch war ich sie wieder einmal los. Ich ging wieder hinaus. Mir riss es in den Magen. Gegenüber in einer Kneipe sah ich Dan. Er versoff sein letztes Geld. Er sah mich und winkte mich herüber. Sein fauler Atem stach mir ins Gesicht. Er redete völlig wirr uns haltlos und bekam keinen Satz heraus, ohne zu erwähnen, dass er einen Tipp habe, der ihm beim nächsten Mal eine Menge Geld bringen würde. Bald lag er mit beiden Armen aufgelehnt auf der Theke. Ich konnte noch schnell raus, um den letzten Bus zu meiner Wohnung zu bekommen. Ich rief sofort Pat an, doch war er scheinbar schon nicht mehr zu Hause. Schon seit einigen Tagen funktionierte meine Heizung nicht mehr. Nachts fror ich; konnte nur schlecht schlafen. Aber müde war ich noch nicht. Ich goss mir ein halbes Glas Scotch ein. Hätte ich jetzt eine Waffe, würde ich mir das Hirn wegpusten. Ich spielte oft mit diesen Gedanken. Sie taten mir gut, auch wenn ich wusste, dass ich es nie soweit kommen lassen würde. Ich trank ein weiteres Glas und schaltete den Fernseher ein. Auf irgendeinem Kanal ließ sich gerade ein Japaner an den Brustwarzen an eine Wäscheleine hängen. An anderer Stelle rieb sich eine Frau die Brüste und versprach es mir zu besorgen. Ich schaltete ab. Zum Glück hatte ich noch ein paar Flaschen Bier. Ich legte eine alte Platte von Art Blakey auf und versuchte es nochmal bei Pat. Aber wieder nahm niemand ab. Ich ging zum Kühlschrank und löffelte den Rest Bohnen aus, die ich am Morgen in einer Pfanne gebraten hatte. Währenddessen hörte ich draußen auf der Straße ein paar Jugendliche, die einen sitzen hatten. Sie grölten und traten gegen ein paar Mülltonnen von einem meiner Nachbarn. Ich hatte keinen Kontakt zu meinen Nachbarn. Nachdem ich an einem Samstagmorgen Unterhose tragend den Müll zur Tonne gebracht hatte, schauten sie mich verachtend an. Ich konnte es verstehen; ich war ein Wrack. Ich wusste, warum Luzy mich immer wieder hatte abblitzen lassen. Ich versuchte es gar nicht mehr. Mir war es nicht egal, doch versuchte ich es mir einzureden. Es bekam mir nicht gut, wenn ich mich selber anlog. Deswegen trank ich auch. Ich log mich an. Ich schrie auf und warf mit einer gewaltigen Kraft die leere Dose Bohnen an die Wand. Die Hülle der Art Blakey bekam einen mächtigen Spritzer ab. Seitdem habe ich sie mir nicht mehr angesehen.


Freitag, 31. Juli 2009

Zeit für mich

Vor ein paar Wochen hatte ich eine Frau kennen gelernt. Sie hatte mich umgehauen. Es fühlte sich so an, als sei es das erste Mal gewesen, dass mich eine Frau in solch einem Maße umgehauen hatte. Jetzt waren ein paar Wochen vergangen und es hatte sich mal wieder als jämmerlicher Fusch erwiesen. Es ist doch immer das gleiche. Gestern brennt es einem noch durch und kurze Zeit später findet man selbst Nachbars Katze interessanter. So, wie wenn du gerade mit einem Finger gelangweilt in der Nase hängst, von irgendwo ein Auto kommt, dessen Radio voll aufgedreht ist und ein Song läuft, der dir das Dopamin aus der Nase knallt. Das Auto fährt an deinem Fenster vorbei, irgendwo hin, der Song wird leiser, der Grund für deinen kurzen Kick geht verloren, du fühlst dich wieder beschissen, und auf deinem Finger ist nur noch ein Buckel aus Rotze. Manchmal bleiben Autos auch vor deiner Tür stehen. Doch meistens ist es nur der Postbote oder irgendein Arsch, der irgendwen abholt, und anstatt irgendwelcher Musik hörst du nur den Motor heulen.

Wenigstens hatte ich jetzt endlich mal wieder etwas Zeit für mich. In den letzten Tagen hatte ich einen Haufen Arbeit hinter mich gebracht und konnte mich nun wieder den Dingen widmen, die ich in der letzten Zeit vernachlässigen musste. Es war aber noch viel zu früh, um irgendwas zu machen; gerade einmal Nachmittag. Ich ging erstmal zum Kühlschrank, öffnete ihn und starrte rein. Danach beschloss ich, mich kurz auszuruhen, legte mich auf die Couch und schlief fast zwei Stunden. Ich träumte von irgendwelchem Gebäck in meinem Kühlschrank, welches von Fliegen umkreist und ungenüsslich geworden war. Nachdem ich aufgewacht war, zog es mich wieder zum Kühlschrank. Keine Fliegen, kein Gebäck. Nur ein Glas Oliven, alte Tomaten, zwei Flaschen Bier, Marmelade, Senf. Ich ging zurück zur Couch. Plötzlich klingelte das Telefon. Träge lenkte ich meinen Arm zum Hörer und nahm ab. Verwählt. Danach ging ich zur Toilette. Es kam nicht viel raus. Auf dem Fenstersims lag eine Zeitschrift. Ich blätterte etwas herum, laß eine Story und ging wieder zurück. Auf dem Weg vom Bad machte ich Halt in der Küche, nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und trank sie aus. Danach nahm ich die zweite Flasche und trank sie auch aus.

Den Rest des Tages verbrachte ich in einer Kneipe.


Freitag, 24. Juli 2009

Party

Gut. Ich wachte mal wieder auf, hatte am Abend und in der folgenden Nacht so einiges runtergekippt. Ich war auf irgendeiner Party gelandet. Viele bekannte und beschissene Gesichter. Es hatte die ganze Zeit geregnet. Irgendein Typ belaberte mich die ganze Zeit. Er hätte einen leeren Magen und würde umso weniger vertragen. Er war dicht und sagte mir das auch so. Es ging mir auf den Nerv. Wenn ich trinke, trinke ich für mich und halte es niemandem unter die Nase. Ich stellte mich zu ein paar bekannten Gesichtern. Darunter auch eine Frau, die unter all den scheiß Gesichtern aufstrahlte. Es goss weiter in Strömen. Ich bestellte mir ein weiteres Bier. Es war teuer, aber Geld war mir jetzt egal. Es zählte das Geschäft, und das Geschäft war ich. Und diese Braut hatte auf mich den Eindruck, als sei sie eine gute Geschäftsfrau. Ich knüpfte mich langsam ins Gespräch der Runde ein. Es ging um Alkohol und Schlägereien. Genau mein Niveau. Die Braut hörte zu, grinste ein paar Mal, schien aber wenig interessiert. Ich war drauf. Doch was wollte sie mit einem Verlierer wie mir? Kurze Zeit später war sie verschwunden. Ich war ein beschissener Geschäftsmann. Ich ging nach Hause, öffnete eine Dose Bier und legte mich ins Bett. Ich schlief ein, wachte irgendwann auf und nun lag ich da rum.


Dienstag, 21. Juli 2009

Flug

Meine Maschine ging um 9. Ich musste mal wieder raus. Ich hatte die letzten Tage und Wochen ständig nur mit den gleichen Leuten in irgendwelchen Clubs gelungert; völlig haltlos. Irgendwann gingen mir ihre Gesichter nur noch auf den Nerv, auch wenn ich sie sehr mochte. Besonders das von Liz. Sie hatte eine tolle Figur und erinnerte mich an Samantha, eine langjährige Beziehung, die erst vor ungefähr einem halben Jahr in die Brüche gegangen war. Immer wenn ich mit Liz zusammen abhing, tranken oder scherzten wir im besten Maße. Ich fühlte mich bei ihr geborgen; sie füllte meine Sehnsucht nach Sam. Doch nun musste ich erst einmal weg. Ich wusste, wie gefährlich die Situation war; früher oder später würde ich mich in ihr verlieren. Den Flug hatte ich spontan gebucht, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten sollte. Etwas Geld hatte ich mir von Liz gepumpt, ohne zu sagen, wofür ich es brauchte. Ich verließ mein Appartement. Im Treppenhaus funktionierte das Licht nicht. Draußen vor der Tür wartete ein Taxi auf mich.

Die Maschine hob pünktlich gegen 9 Uhr ab. Die Fahrt zum Flughafen hatte sich als reichlich unbequem gestaltet. Der Taxifahrer war nicht nur langsam gefahren, er hatte mir auch noch ohne Aufforderung seine halbe Lebensgeschichte erzählt. Ich fand sie reichlich langweilig. Er hatte schon längst eingesehen, dass er mit diesem Job nichts erreichen kann und hatte nun versucht, seine kleine Welt aufzupolieren. Ich gab ihm etwas Trinkgeld, aber er lehnte es ab.
Neben mir im Flieger saß ein Mann, Mitte 40. Er war gut gebaut. Noch bevor die Maschine abgehoben war, schaute er ständig in irgendwelche Papiere oder Unterlagen, die er dafür jedes Mal aus einem alten Aktenkoffer herausholte und wieder wegklappte, sobald er einen Blick darauf geworfen hatte. Er atmete schwer und es machte mich nervös. Schließlich holte er noch ein Taschentuch aus seinem Jackett und wischte sich seine feuchte Stirn ab. Wenigstens lenkte er mich von meinen wirren Gedanken ab. Ich fühlte mich unwichtig, bei der Vorstellung, dass Liz jetzt mit irgendjemandem abhängen, Bier trinken und lachen würde. So, als wäre ich doch nur eine austauschbare Person, mit der sie ihren Spaß hat. Zum Glück saß ich im Flieger und zum Glück wusste Liz auch nicht, wo ich war. Ich lehnte meinen Sitz ein wenig zurück, schloss die Augen und versuchte, nicht an Liz zu denken. Von einer Zeitung, die ich unter meinem Sitz fand, riss ich zwei kleine Papierstücke ab und steckte sie mir in die Ohren. Ich schlief tatsächlich ein. Als ich 50 Minuten später wieder aufwachte, war auch mein Sitznachbar eingeschlafen. Mit einem Ruck wachte auch er plötzlich auf, schaute erschrocken durch die Gegend, öffnete wieder seinen Koffer, schaute kurz hinein und lehnte sich wieder zurück. Es war ein langweiliger Flug. Eine Stewardess bot mir zwei Stücke Pizza und eine Flasche spanisches Bier an. Ich nahm dankend an und trank die Flasche in einem guten Tempo runter. Ich nahm mir die Zeitung, stöberte etwas in ihr herum und stieß auf ein kurzes Gedicht eines Autors. Es war so herzlich, dass ich mir eine Träne ernsthaft verdrücken musste. Das Gefühl der Ungewissheit, dass ich hier oben weder wusste, wo Liz gerade steckte, noch, dass sie mich nicht erreichen konnte, ermöglichte mir gezwungene Hoffnung, dass sie vielleicht an mich denken würde, doch die meiste Zeit beunruhigte es mich. Ich ging auf die Toilette. Der Raum war unheimlich klein, ich hatte kaum eine Chance im Stehen zu pinkeln. Soweit war es aber auch egal; es bahnte sich etwas festes an. Ich zog meine Hose runter, setzte mich, lehnte mich mit den Ellbogen auf meine Knie und beobachte die fallende Kacke durch den Spalt zwischen meinen Oberschenkeln. Sie hatte einige weiße Streifen; ich hatte mir vor dem Flug noch irgendeine Salbe in meinen Arsch geschmiert. In der letzten Woche hatte es immer mal ein wenig geblutet, da ich auf billigeres und härteres Toilettenpapier umgestiegen war. Es roch ekelhaft. So wie zu Hause, wenn ich scheißen war. Ich schob mir das letzte Stück Pizza rein, wischte ab, zog mir meine Hose wieder hoch und spülte den ganzen Mist runter. Hätte mein Leben einen Soundtrack, wäre gerade keine Musik im Hintergrund gelaufen. Ich hatte Bier, ich hatte was im Magen, ich hatte gerade geschissen und ich saß in einem Flieger. Und trotzdem fühlte ich mich beschissen.


Müde, ratlos, ungekämmt.

Ich denke an gemeinsame Spaziergänge an langen Fjorden, Theaterbesuche, Ausschlafen, Telefonate in der Nacht, Reisen.

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