Montag, 10. August 2009

Flucht

Ich lag auf der Couch. Ursprünglich war ich verabredet gewesen. Mein Telefon hatte aber nicht geklingelt und meine Hoffnungen, dass es noch klingeln würde, waren auch schon davon gezogen. Die letzten Tage waren schlimm gewesen. Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Wenn ich morgens aufwachte, fühlte ich mich beschissen, weil mir nichts anderes übrig blieb, als wach zu sein. Heute war ich schon gegen 7 Uhr aufgewacht. Mir war übel gewesen und ich hatte mich sogar etwas übergeben müssen. Natürlich war nur bitterer Mageninhalt heraus gekommen und jetzt schmerzte mir der Hals. Ich ging kurz runter zum Supermarkt, schaltete vorher den Anrufbeantworter ein. Ich kaufte sechs Flaschen Bier, Spaghetti, Salz und Kaugummi. Kurz drauf kam ich wieder heim. „Wenn da ‘ne Nachricht da ist, fress‘ ich meine Socken“, sagte ich so vor mich hin. Ich schaute nach. Keine Nachricht. Hatte also doch was Gutes, wenn man vergessen wird. Also ich lag weiter auf meiner Couch rum. Draußen hämmerte ein Presslufthammer, von unten kam Musik, über mir an der Decke zwei kaputte Glühbirnen. Auf dem Tisch Geschirr und alte Zeitungen. Ich hatte keinen Pepp mehr.

Dann klingelte auf einmal das Telefon. Ich war doch nicht vergessen worden und musste mich nun entweder beeilen oder tot stellen. Zweites wäre sicherlich einfacher gewesen, hatte mich den Tag über eh schon nicht ganz fit gefühlt. Ich zog mir meine Hose an und ging zügig ins Bad, wollte mich zurechtmachen. Aber sowas hatte ich schon lange nicht mehr getan, und ich war in solchen Dingen immer miserabel gewesen. Ich klappte den Spiegel auf. Kämmen, Zähne putzen. Hektik. Zu guter letzt fiel mir mein Rasierwasser ins Becken. Ich ließ es erstmal liegen; hatte auch noch nichts gegessen. Ich musste fürchterlich aus dem Mund gestunken haben. Ich trank schnell eines der Biere, welche ich gekauft hatte und schob mir danach einen Kaugummi rein, schlug also zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich fühlte mich gar nicht mehr so übel.

Das Wetter war ganz passabel gewesen. Also verzichtete ich auf ein Taxi und ging zu Fuß in die Stadt. An einem Schaufenster machte ich kurz Halt und warf einen Blick von oben nach unten auf mein Spiegelbild. Gut, ich hatte mich nicht rasieren können. Ansonsten war ich recht zufrieden. Ich grinste mich an und ging weiter.

Nach wenigen Minuten war ich angekommen. Wir hatten uns in einer alten Eckkneipe verabredet, wo wir und besonders ich schon zahlreiche gute Abende erlebt hatten. Sie war noch nicht da. Lou, ein guter Freund von mir saß rechts am Tresen und winkte mich herüber. Ich lehnte mich mit meinem rechten Ellbogen locker gegen die Theke. Hank, der Kerl hinter der Theke kannte mich ganz genau. Er wusste was ich bekam und stellte mir ein Glas hin. Lou erzählte mir von einer Reise, die er mit seiner Frau antreten würde. Ich meine, die Harmonie zwischen den beiden war schon längst verflogen, aber Lou machte so einen glücklichen Eindruck, als hätte er Melinda erst vor wenigen Tagen kennen gelernt. Er sah so gut aus und es tat gut, ihn so zu sehen. Er hatte schon schlechtere Zeiten erlebt. Vor einigen Jahren hatte sich sein Sohn aus einer früheren Beziehung mit seinem Wagen an einen Baum gefahren. Das hatte ihn damals völlig aus der Bahn geworfen. Er lächelte mich an. Ich klopfte ihm auf die Schulter und stieß mit ihm an.
Hank stellte mir ein neues Glas hin. Ich nahm einen Schluck. Der gute Hank. In all den Jahren war ich immer großzügig gewesen und ab und an revanchierte er sich mit einem Drink bei mir. Manchmal, wenn er den Laden abends schon dicht gemacht hatte, saß ich noch bei ihm am Tresen und wir unterhielten uns über alte Zeiten, tranken etwas und hörten Platten aus seiner Sammlung.
Jetzt hörte ich aber erstmal das Quietschen der Tür. Ich drehte mich um, schaute, und sah, dass sie reinkam. Arm in Arm mit irgend so einem Typen, den ich nur vom Sehen her kannte. Mit einem Ruck rutschte mir alles in die Hose. Mein Hals war wie zugeschnürt. Mir war übel. Ich drehte mich um, holte tief Luft und goss mein Glas in einem Schluck runter. Ich weiß nicht, ob man mir irgendwas ansehen konnte. Jedenfalls guckte mich Hank erschrocken an. Ich musste beschissen ausgesehen haben. Ihre Schritte kamen Richtung Bar. Ohne nur eine Sekunde nachzudenken, klopfte ich Lou nochmal kurz auf die Schulter und wollte abhauen. An ihr schon vorbei, griff ihr Typ auf einmal nach mir. „Hey, was soll der Scheiß?“, fragte er. Ich riss mich los und wuchtete ihm mit meiner Rechten in einem Dreh eins in die Magengegend. Er krampfte zusammen, sie schrie auf. Ich lief hinaus. Auf der Straße rannte ich fast gegen einen alten Mann, konnte ihm aber so gerade noch ausweichen. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich lief nach Hause und trank die restlichen Flaschen Bier. Es klingelte mehrmals an der Tür. Ich blieb auf meiner Couch unruhig sitzen und öffnete nicht. Irgendwann ging ich ins Bad. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich fing an zu heulen. Bisher war ich immer wieder davon runter gekommen. Doch dieses Mal hatte ich Schiss, dass es mich fertig machen würde.


Müde, ratlos, ungekämmt.

Ich denke an gemeinsame Spaziergänge an langen Fjorden, Theaterbesuche, Ausschlafen, Telefonate in der Nacht, Reisen.

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