Donnerstag, 24. September 2009

Am Gleis

Ich war mit dem Zug unterwegs. Es war am regnen und unangenehm kühl. Die Fußheizung im Zug war eingeschaltet. Ich hatte es zu spät gemerkt. Der Inhalt einer offenen Tube Salbe, die sich in meiner Tasche auf dem Boden befand, hatte sich verflüssig und einige Notizzettel versaut. Rechts von mir, auf der anderen Seite des Gangs, saßen zwei ältere Herren. Einer von den beiden war eingeschlafen. Beim nächsten Halt weckte der eine den anderen Alten auf. Sie packten ihr Zeug und stiegen aus. Ich blieb sitzen, hatte noch eine Strecke vor mir. Inzwischen war es auch noch dunkel geworden und der Regen klatschte an die Scheibe.
Nach zehn Minuten stand der Zug immer noch und die Innenbeleuchtung war ausgegangen. Nach weiteren fünf Minuten kam so ein Typ.
„Hey, was sitzen Sie hier noch drin rum?“, fragte er mich.
„Mister, warum fährt das Ding nicht endlich weiter?“, fragte ich.
„Der Zug fährt heute nirgendwo mehr hin.“
„Was soll der Scheiß? Ich habe für die Fahrt bezahlt.“
„Sie hätten umsteigen müssen. Der nächste Zug fährt erst wieder in 2 ½ Stunden.“
„Und was soll ich jetzt in der Zeit tun?“
„Erstmal aussteigen, ich muss dicht machen.“
Nun ja. Ich stieg aus. Es war ein kleiner Bahnhof, irgendwo im Wald. So schien es. Überall nur große Bäume drum herum. Es war jetzt schon kurz nach 22 Uhr. Und es regnete immer noch. Am Ende vom Gleis, neben dem Fahrkartenschalter, der schon geschlossen hatte, befand sich noch eine kleine Gaststätte. Sie hatte noch bis Mitternacht geöffnet. Ich ging rein.
„Alter, noch einen Schritt weiter, und du bist sofort wieder draußen“, brüllte mich der Typ hinter der Theke an. Es war ein ziemlich dünner Kerl. Alt und dünn. Hinten an der Theke saß noch wer. Sah ziemlich fertig aus.
„Ich hab vorhin alles sauber gemacht. Sie treten jetzt mal schön Ihre Füße ab, und dann hängen Sie ihren dreckigen Mantel da an den Ständer“.
„Ist ok“, sagte ich, „wenn ich dann noch was zu trinken bekomme“.
„Was wollen Sie?“
„Gib mir’n gezapftes Bier und ‘ne Packung Erdnüsse“.
Ich setze mich zu ihm an die Theke. Er stellte mir ein Bier hin. Ich trank es aus. Kurze Zeit später kam so ein Typ rein. Schien ein Stammgast zu sein, denn er wurde nicht angeschnauzt. Er setzte sich neben mich.
„N’Abend“, sagte er.
„N’Abend“, sagte ich.
Er bestellte sich ein Bier.
„Was’n Wetter“, sagte er.
Ich sagte nichts.
„Haben Sie Feuer?“, fragte er mich.
„Nein, rauche nicht mehr“.
Darauf steckte er sich eine Zigarette in den Mund, nahm ein Feuerzeug aus seiner Tasche und zündete sie sich an.
„Und sehen Sie, genau deswegen habe ich immer Feuer bei mir“.
Ich schwieg und bestellte mir anschließend noch ein Bier.
„Chef, mir auch noch eins. Und bitte das von dem Herren hier auch auf meine Rechnung“.
„Das muss echt nicht sein.“
„Doch, doch, ist schon in Ordnung.“
Ich sagte nichts.
Danach holte er eine Zeitung aus der Tasche, schlug sie auf und begann zu lesen. Fing er mit einem neuen Artikel an, laß er die Überschrift immer laut vor und schaute mich danach mit einem grinsend fragenden Blick an. Er senkte dabei immer etwas die Zeitung und schaute so, als würde er über Brillengläser schauen. Nur trug dieses dumme Gesicht keine Brille. Das tat er mehrmals in den nächsten Minuten.
„Na, was haben wir denn hier. Finanzkrise. Pessimismus der Menschen nimmt weiter zu“.
Wieder dieser Blick. Ich wurde nervös. Ich hielt mich am Riemen. Die nächsten drei Minuten passierte nichts.
„Was haben wir denn hier? Banken sehen düstere…“
„Mensch jetzt halten Sie doch endlich Ihr Maul“, pumpte ich ihn an.
Nun ja. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Chef musste ich den Laden verlassen. Ich ging zur Tür, nahm meine Jacke vom Ständer und begab mich in den Regen. Ganze zwei Stunden musste ich nun noch warten. Ich setzte mich auf eine Bank an den Gleisen und zog mir meine Kapuze über.


Müde, ratlos, ungekämmt.

Ich denke an gemeinsame Spaziergänge an langen Fjorden, Theaterbesuche, Ausschlafen, Telefonate in der Nacht, Reisen.

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