Dienstag, 21. Juli 2009

Flug

Meine Maschine ging um 9. Ich musste mal wieder raus. Ich hatte die letzten Tage und Wochen ständig nur mit den gleichen Leuten in irgendwelchen Clubs gelungert; völlig haltlos. Irgendwann gingen mir ihre Gesichter nur noch auf den Nerv, auch wenn ich sie sehr mochte. Besonders das von Liz. Sie hatte eine tolle Figur und erinnerte mich an Samantha, eine langjährige Beziehung, die erst vor ungefähr einem halben Jahr in die Brüche gegangen war. Immer wenn ich mit Liz zusammen abhing, tranken oder scherzten wir im besten Maße. Ich fühlte mich bei ihr geborgen; sie füllte meine Sehnsucht nach Sam. Doch nun musste ich erst einmal weg. Ich wusste, wie gefährlich die Situation war; früher oder später würde ich mich in ihr verlieren. Den Flug hatte ich spontan gebucht, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten sollte. Etwas Geld hatte ich mir von Liz gepumpt, ohne zu sagen, wofür ich es brauchte. Ich verließ mein Appartement. Im Treppenhaus funktionierte das Licht nicht. Draußen vor der Tür wartete ein Taxi auf mich.

Die Maschine hob pünktlich gegen 9 Uhr ab. Die Fahrt zum Flughafen hatte sich als reichlich unbequem gestaltet. Der Taxifahrer war nicht nur langsam gefahren, er hatte mir auch noch ohne Aufforderung seine halbe Lebensgeschichte erzählt. Ich fand sie reichlich langweilig. Er hatte schon längst eingesehen, dass er mit diesem Job nichts erreichen kann und hatte nun versucht, seine kleine Welt aufzupolieren. Ich gab ihm etwas Trinkgeld, aber er lehnte es ab.
Neben mir im Flieger saß ein Mann, Mitte 40. Er war gut gebaut. Noch bevor die Maschine abgehoben war, schaute er ständig in irgendwelche Papiere oder Unterlagen, die er dafür jedes Mal aus einem alten Aktenkoffer herausholte und wieder wegklappte, sobald er einen Blick darauf geworfen hatte. Er atmete schwer und es machte mich nervös. Schließlich holte er noch ein Taschentuch aus seinem Jackett und wischte sich seine feuchte Stirn ab. Wenigstens lenkte er mich von meinen wirren Gedanken ab. Ich fühlte mich unwichtig, bei der Vorstellung, dass Liz jetzt mit irgendjemandem abhängen, Bier trinken und lachen würde. So, als wäre ich doch nur eine austauschbare Person, mit der sie ihren Spaß hat. Zum Glück saß ich im Flieger und zum Glück wusste Liz auch nicht, wo ich war. Ich lehnte meinen Sitz ein wenig zurück, schloss die Augen und versuchte, nicht an Liz zu denken. Von einer Zeitung, die ich unter meinem Sitz fand, riss ich zwei kleine Papierstücke ab und steckte sie mir in die Ohren. Ich schlief tatsächlich ein. Als ich 50 Minuten später wieder aufwachte, war auch mein Sitznachbar eingeschlafen. Mit einem Ruck wachte auch er plötzlich auf, schaute erschrocken durch die Gegend, öffnete wieder seinen Koffer, schaute kurz hinein und lehnte sich wieder zurück. Es war ein langweiliger Flug. Eine Stewardess bot mir zwei Stücke Pizza und eine Flasche spanisches Bier an. Ich nahm dankend an und trank die Flasche in einem guten Tempo runter. Ich nahm mir die Zeitung, stöberte etwas in ihr herum und stieß auf ein kurzes Gedicht eines Autors. Es war so herzlich, dass ich mir eine Träne ernsthaft verdrücken musste. Das Gefühl der Ungewissheit, dass ich hier oben weder wusste, wo Liz gerade steckte, noch, dass sie mich nicht erreichen konnte, ermöglichte mir gezwungene Hoffnung, dass sie vielleicht an mich denken würde, doch die meiste Zeit beunruhigte es mich. Ich ging auf die Toilette. Der Raum war unheimlich klein, ich hatte kaum eine Chance im Stehen zu pinkeln. Soweit war es aber auch egal; es bahnte sich etwas festes an. Ich zog meine Hose runter, setzte mich, lehnte mich mit den Ellbogen auf meine Knie und beobachte die fallende Kacke durch den Spalt zwischen meinen Oberschenkeln. Sie hatte einige weiße Streifen; ich hatte mir vor dem Flug noch irgendeine Salbe in meinen Arsch geschmiert. In der letzten Woche hatte es immer mal ein wenig geblutet, da ich auf billigeres und härteres Toilettenpapier umgestiegen war. Es roch ekelhaft. So wie zu Hause, wenn ich scheißen war. Ich schob mir das letzte Stück Pizza rein, wischte ab, zog mir meine Hose wieder hoch und spülte den ganzen Mist runter. Hätte mein Leben einen Soundtrack, wäre gerade keine Musik im Hintergrund gelaufen. Ich hatte Bier, ich hatte was im Magen, ich hatte gerade geschissen und ich saß in einem Flieger. Und trotzdem fühlte ich mich beschissen.


Müde, ratlos, ungekämmt.

Ich denke an gemeinsame Spaziergänge an langen Fjorden, Theaterbesuche, Ausschlafen, Telefonate in der Nacht, Reisen.

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