Hirngespinste

Dienstag, 22. November 2011

Melancholie

Melancholie. Meine beste Freundin, meine Liebe, die Droge, die Hure, die sich jedem verkauft. An den ekelhaften, nüchternen Tagen, an denen die Arbeit mein Leben bestimmt, Gefühle, Gedanken und Ideen auf dem Abstellgleis landen, verspüre ich eine tiefe Sehnsucht nach dir, doch hasse ich es, wenn du dich den Menschen zuwendest, die es zu ernst mit dir meinen, dich nicht schätzen, und mit dir umgehen, als wärst du ein Stück Scheiße, welches alle Schuld für ihr miserables Leben abbekommt. Du bist meine engste Verbündete, ich weiß dich zu schätzen, doch habe ich Angst, dich zu verlieren, wenn ich erkenne, dass andere dich viel eher verdient haben. Du bist meine konstante Größe, überlebtest viele Jahre, warst währenddessen mein ärgster Feind in schwarzen Stunden und triebst mich fast in den Tod, und lässt mich in den ausgetrockneten Phasen meines Lebens immer wieder nach dir suchen. Du überraschst mich immer wieder, lässt mich gebrechlich dastehen, im falschen Licht, zum falschen Zeitpunkt, gerade dann, wenn ich dich mal wieder nicht gebrauchen kann, machst du mich zum verletzlichen Außenseiter. Brauche ich dich, bist du mein Zugang zu einem geliebten Menschen, will ich dich mit diesem teilen, lässt du mich alleine, den emotionslosen, abgebrühten Kerl. Lass uns zusammen alleine sein.


Donnerstag, 6. Oktober 2011

Abgrund

Zurück. Ein Augenblick genügt, um den Abgrund, in den die Menschheit drängt, vor Augen zu haben. Gesichter. Kalte Gesichter. Kalte, lachende Gesichter. Lachend in den Abgrund. Die Klappe zum Abgrund ist geöffnet und die Menschheit begibt sich schleichend in dessen Richtung. Wie blinde, lachende Schnecken. Unten, hinter der Klappe wartet jedoch nichts anderes, als ein Spiegel, und all die lachenden Gesichter krachen mit ihrem eigenen Arsch in ihre dämlichen, kalten, lachenden Gesichter. Ich wünschte, ich könnte daneben stehen und lachen. Niemand hat ein Recht zu lachen. Wir haben jetzt fünf vor zwölf, die letzten Autos kommen die großen, lichtüberfluteten Straßen hinaufgekrochen. Den ganzen Tag nichts, als sich in den Abgrund bewegt, lachend, fluchend, der Verzweiflung nahe, vielleicht weinend. Und jetzt fahren sie in ihre Höhle, verbraucht wie sie sind, um ihre ausgelaugten, schlaffen Körper abzustellen, um morgen mit dem gleichen Mist direkt wieder zu beginnen. Wieder und wieder, Tag für Tag. Und sie werden fluchen, weinen, stöhnen, lachen, aber niemand weiß, warum man es überhaupt tut, für wen man es tut und dass uns all das nur noch mehr in den Abgrund treibt. Aber dort warten sie schon, all die lachenden, verzweifelten Gesichter. Früher oder später sind wir erledigt und hinterlassen den größten Scherbenhaufen, den zum Glück niemand mehr sehen muss.


Sonntag, 18. April 2010

Illusionen

Die völlige Lustlosigkeit hatte ihn wieder eingeholt. Nach einem Wochenende, an dem man durchgehend mit den gleichen Menschen zu tun hatte, fühlte er sich am ersten Tag der Woche ohne diese Dauerbeschäftigung an wie ein Legastheniker, dem es trotz größter Sehnsucht nicht gelingen konnte, auch nur einen Satz auf ein leeres Blatt Papier zu schreiben. All die Gedanken und Gefühle, all das, was er vielleicht an einem Tag, oder an einem Wochenende erlebt hatte, all das, was ihn fertig gemacht und erfreut, was ihn in irgendeiner Weise beschäftigt hatte, schien überhaupt keinen Sinn mehr zu machen, kein roter Faden, kein Verständnis, kein Gefühl schien mehr vorhanden zu sein. All seine Hoffnungen zerbrachen wie ein Zahnstocher. Traf er nun auf die Menschen, mit denen er eine gute oder beschissene Zeit hatte, wirkten diese Menschen auf ihn so, als hätte er nie auch nur ein Wort mit ihnen geredet.

Traf er nun doch auf eine Frau, die ihn an einem dieser Tage mal ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hatte, eine Frau, die ihn vom deprimierenden Alltag ablenkte und all seine pessimistischen Gedanken zerfließen ließ, als wären es nur haltlose Illusionen gewesen, die von dann an unwichtig und lächerlich schienen und selbst ihr Recht auf Existenz völlig illusionär wirkte, so riss diese Frau dem Menschen mit der kleinsten kalten Schulter, der kleinsten Interessenlosigkeit, eine tiefe Lücke ins Herz, eine Lücke, die die Sehnsucht erstarren und erfrieren ließ. In diesem Moment wurde der Grund für das vergangene Lächeln zur Illusion, und all die Illusionen, die vorher bestanden hatten, stauten sich zusammen, um den Glauben und die Hoffnung an Geborgenheit und Liebe in unerreichbare Ferne rücken zu lassen.


Sonntag, 24. Januar 2010

Größe

Als kleines Kind war man stets von der Größe einer Sache begeistert. War ein Haus groß, schwärmte man davon. Die Dinosaurier waren groß gewesen. Nur deswegen fand man sie doch so faszinierend. Und weil man sie aus Bilderbüchern kannte. Hätte ich damals vor so einem Ding gestanden; ich wäre gerannt. Hatte man Geburtstag, war es wichtig, dass die Torte immer groß war. Viel größer als die vom besten Freund. Man musste sich ja doch immer gegenseitig ausstechen. Die Geschenke mussten natürlich auch groß sein. Was hätte einem so ein kleines Spielzeugauto auch schon gebracht. Es musste groß sein, nach Möglichkeit sogar irgendein Panzer oder so ein LKW, den man mit einer Fernsteuerung durch’s Wohnzimmer brettern lassen konnte. Hauptsache groß. Irgendwann verlor man das Interesse und es musste was neues her. Woran man dann schleißlich auch wieder das Interesse verlor. Ein ewiger Kreislauf, bis man dann irgendwann lernte, sich mit weniger zufrieden zu geben. Weniger war mehr, redete ich mir ein.
Und heute laufe ich durch den Supermarkt und bin beeindruckt, für wie wenig Geld man sich mittlerweile volllaufen lassen kann.


Freitag, 6. November 2009

Ausgeleiert

Das erdrückende Gewicht der Welt hängt oft nur von einer Person ab. Die sitzt im Steuerhaus eines Krans, das Gewicht hängt unten dran. Eine falsche Bewegung von ihr und alles kracht auf dich runter. Manche wissen mit dem Gewicht umzugehen und haben bemerkt, dass man von ihnen abhängig ist. Sie beginnen zu spielen, völlig unbeirrt, fahren den Anker auf, fahren ihn ab, machen dich glücklich, machen dich unglücklich, pumpen dich voll, drücken dir die Luft ab. Immer weiter, auf und ab. Irgendwann wird’s dir zu viel. Doch bevor du flüchten kannst, schneiden sie die Schnur ab und du bist platt. Manche für immer. So fühlt es sich an. Die meisten aber wissen nicht damit umzugehen, wissen gar nicht, dass man unten drunter steht. Na und irgendwann leiert der Strang aus und das Ding schleicht runter. In dem Fall dauert’s ewig, man ahnt es irgendwann, und dann ist Schluss.


Donnerstag, 17. September 2009

Hass

Ich habe Briefkästen immer gehasst. Früher musste ich schon immer weit laufen, auch wenn es nur ein einziger kleiner Brief gewesen war, um ihn in einen der rar gesähten Kästen der Stadt einzuwerfen. Dadurch hatten sich für mich eine Menge Probleme ergeben. Ich schob das Fertigmachen eines Briefes immer mehrere Tage hinaus, ging nur ungern für das Verschicken vor dir Tür und wartete meist darauf, bis irgendein Bekannter von mir vorbeikam, dem ich den Brief in die Hand drücken konnte, damit er ihn auf dem Nachhauseweg zu sich in einen der Kästen einwerfen konnte. Ständig bekam ich Mahnungen oder musste irgendwelche Verträge weiter bezahlen, da ich die Kündigungsfrist auf Grund meines Problems nicht eingehalten hatte. Ähnlich verhielt es sich mit Großeinkäufen. Ich hatte nur selten mal genug zu essen im Haus. Regnete es draußen zusätzlich noch, fühlte ich mich noch mieser und fauler. Aber warum sage ich das überhaupt. Ich hatte mich in meinem Leben immer vor Dingen gedrückt, hatte Angst vor Neuerungen, verließ das Haus ungerne, egal ob ich zur Schule oder zum Zahnarzt musste, suchte mir immer passende Ausreden, log, schrie, warf Stühle um, zerstörte Einrichtung, rannte Treppen hoch und runter, schloss mich im Bad ein, rang nach Luft, schlug um mich, schlug meine Mutter, schlug meinen Vater, riss Kabel aus der Wand, schrie, schrie und schrie. Oft höre ich, dass Kinder halt so sind. Nie hatten mich meine Eltern geschlagen, nie hatten sie mir etwas Böses getan. Innerlich schreie ich immer noch, ich denke oft zurück an solche Momente, und immer krampft mir der Magen zusammen, immer könnte ich schreien, heulen, mich schlagen. Stattdessen fresse und saufe ich in mich rein.


Müde, ratlos, ungekämmt.

Ich denke an gemeinsame Spaziergänge an langen Fjorden, Theaterbesuche, Ausschlafen, Telefonate in der Nacht, Reisen.

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